Im Kieler Landtag wurde auf Einladung der Schleswig-Holstei- inischen Rechtsanwaltskammer über politische Bildung diskutiert.
© Foto: Schleswig-Holsteinische Rechtsanwaltskammer

Schleswig-Holsteinische Rechtsanwaltskammer. Um ein demokratisches Bewusstsein zu bilden, sind Streitkultur und Konfliktfähigkeit enorm wichtig. Darüber waren sich die vier Diskutanten bei der Podiumsdiskussion der Schleswig-Holsteinischen Rechtsanwaltskammer zum Thema “Politsche Bildung” einig. Am 29.11.2018 ging es im Kieler Landtag um die Frage, wie es gelingen kann, junge Menschen politisch zu sozialisieren.

Kammer-Präsident Jürgen Doege begrüßte das Podium und das interessierte Publikum mit den Worten, dass in Zeiten, in denen Rechtspopulismus und nationalistische Tendenzen auf dem Vormarsch seien, alle in der Pflicht stünden, politische Bildung voranzutreiben. „Gerade Juristen sind verantwortlich dafür, den demokratischen Rechtsstaat zu pflegen und seine Säulen zu verteidigen“, erläuterte der Rechtsanwalt und Notar aus Geesthacht.

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Politik ist eine persönliche Sache

Auf die Eingangsfrage, ob unter der jüngeren Generation Politikverdrossenheit herrsche, entgegnete Kurt Edler, Lehrer und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik, dass die hohen Teilnehmerzahlen an Demonstrationen zeigten, wie groß das Interesse an politischem Wissen sei. Die Bildungseinrichtungen müssten die Schülerinnen und Schüler persönlich dort abholen, wo sie sich befinden.

Edler, einer der Gründungsväter der Hamburger Grünen, weiter: „Rein wissensorientierter Unterricht ist unzeitgemäß. Der Fokus muss auf individueller Pädagogik liegen. Wenn wir die Schülerinnen und Schüler persönlich vor Fragen nach dem Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung stellen, überzeugen wir sie.“ Da Schulen heutzutage freier in ihrer Stundenplanung seien und offener agieren könnten, müsste Demokratie auch abseits von Lehrplänen und Stundentafeln flächendeckend Thema sein.

Der schleswig-holsteinische Landesbeauftragte für politische Bildung, Dr. Christian Meyer-Heidemann, stimmte dem zu: „Existenzielle Fragen sollten auch abseits des Faches Politik aufgeworfen werden, beispielsweise im Sportunterricht in Bezug auf Fairness.“ In diesem Zuge beklagte der promovierte Politikdidaktiker allerdings auch den Mangel an Politikunterricht in Gemeinschaftsschulen.

Außerschulische Bildungsträger stärken das System Schule

Können außerschulische Einrichtungen dem Wunsch nach Teilhabe besser nachkommen? Publizist und Berater Christoph Giesa: „Nicht unbedingt. Auch die Schulen bieten jungen Leuten zahlreiche Möglichkeiten. Bemerkenswert ist aber, dass die Schülerschaft im Moment oft besser auf Demokratiefragen vorbereitet ist als die Lehrerinnen und Lehrer.“ Besonders in Städten, die von mehr Heterogenität geprägt seien, würden die Diskurse bereits im Privaten angesprochen.

Ähnlicher Meinung zeigte sich auch Dr. Philipp-Christian Wachs. Er betrachtet die Arbeit außerhalb von Schulen als bedeutende Ergänzung zu deren Stärkung. Der Direktor des Haus Rissen Hamburg, Institut für Internationale Politik und Wirtschaft, stellte zudem heraus, wie elementar die Existenz von unterschiedlichen außerschulischen Bildungsträgern sei: „Ein demokratisches Netzwerk lebt von Diversität und verschiedenen Weltanschauungen.“

Zum Stichwort Streitkultur mahnte Kurt Edler: „Demokratie und Konsens sind sehr lange als Selbstverständlichkeiten wahrgenommen worden. Deshalb gibt es unter den Lehrkräften und Schülern eine Argumentationsschwäche. Diskutieren muss wieder erlernt werden.“ Gerade in Deutschland herrsche zusätzlich das Problem, dass die Lehrerausbildung zu fachbezogen sei. Es mangele am Fokus auf Pädagogik und eine demokratische Grundausbildung fehle. Er riet Lehrerinnen und Lehrern dazu, eine hohe Frustrationstoleranz aufzubauen und sich in Geduld zu üben. Nicht jede Aussage solle stets kommentiert oder gar gewertet werden, denn Schule sei auch ein Erprobungsraum für Menschen in verschiedenen Entwicklungsphasen. Dr. Philipp-Christian Wachs plädierte dafür, auf Provokationen von Schülerseite möglichst gelassen zu reagieren, demokratiebasiert zu diskutieren und einzelfallbezogen zu handeln. Christoph Giesa unterstrich einmal mehr, dass von Vornherein klar sein müsse, wie schmal der Grat bei einem kontroversen Thema sein kann: „Sie müssen durchaus unterscheiden zwischen harmloser Provokation und ernst zu nehmendem, rechten Gedankengut.“

Gut gewappnet gegen Extremismus

Dr. Christian Meyer-Heidemann machte auf die Bedrohung von rechts aufmerksam. Diese drücke sich in gezielten Kampagnen zur Verunsicherung von Pädagogen aus: „Lehrende an Schulen und Universitäten müssen sich sattelfest machen in Bezug auf solche Erschütterungsversuche. Dabei hilft es, sich im Unterricht auf den Beutelsbacher Konsens zu berufen: Erstens, nicht zu missionieren; zweitens, die Möglichkeit für kontroverse Diskussionen zu geben; drittens, sich an Schülern zu orientieren, damit sie Politik eigens analysieren können.“ Außerdem bedeute die Achtung des Neutralitätsgebots für Lehrer nicht – wie von manchen Parteien propagiert – menschenrechts- und demokratiefeindliche Tendenzen zu dulden. Parteien mit solchen Ansätzen könne man in ihrem Selbstwiderspruch entlarven, wenn sie sich auf Meinungsfreiheit als Teil des Grundgesetzes beziehen, während sie andere Grundrechte missachten.

Alle vier Diskutanten appellierten daran, extremistische Parolen nicht mit freier Meinungsäußerung zu verwechseln. Die Gefahr sei groß, dass sich die radikalen Tendenzen nicht, wie von mancher Seite erhofft, einfach „abschleifen“ werden. Deshalb sei Aktivismus auf hohem Niveau nötig. Die neuen Rechten machten sich in ihren Ausdrucksweisen meist nicht juristisch angreifbar. Daher bedürfe es spezieller Schulungen, um auf die subtilen Untergrabungsmechanismen der Antidemokraten zu reagieren. Mittlerweile werde das lange missachtete Thema auch öffentlichkeitswirksam angesprochen. So könne man besonders junge Menschen beflügeln, sich politisch zu engagieren, und dies stets aus freien Stücken. Denn für die Kultur des zivilisierten Dialogs seien laut Kurt Edler freiwilliges Lernen sowie folgendes Leitbild unabdingbar: „Ich arbeite an mir selbst, aus Einsicht und ohne Angst.“

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Redaktion: AzetPR