Über Algorithmen und Werte wurde am 7.11.2019 in Mainz diskutiert.
Wie können Algorithmus und menschliche Werte miteinander vereinbart werden?
© Foto: Rechtsanwaltskammer Koblenz

Podiumsdiskussion der Rechtsanwaltskammer Koblenz: Regeln für den Rechner: Welche Art von Algorithmus-Ethik brauchen wir?

Rechtsanwaltskammer Koblenz. Wir leben in einer zunehmend vernetzten, digitalisierten Gesellschaft. Viele können sich ein Leben ohne Smartphone nicht mehr vorstellen. Dennoch besteht Skepsis gegenüber automatisierten Systemen, die auf höheren Ebenen eingesetzt werden. Es herrscht die Angst, dass Algorithmen, die in Verwaltung, Unternehmen, bei Versicherungen oder Banken genutzt werden, vorurteilsbelastete Entscheidungen treffen und Diskriminierung verschärfen. Oder ist der Algorithmus gar der gerechtere Richter? Über diese Fragen diskutierten Experten auf der Podiumsdiskussion der Rechtsanwaltskammer Koblenz „Regeln für den Rechner: Welche Art von Algorithmus-Ethik brauchen wir?“

Wer entscheidet über Schuld und Unschuld?

Der Moderator Rechtsanwalt Dr. Andreas Ammer startete die Diskussion sogleich mit einem Experiment nach Katharina Zweig, Leiterin der Algorithm Acountability Lab der Technischen Universität Kaiserslautern. „Sie sind jetzt meine Support-Vector-Machine“, rief Ammer die rund 70 Teilnehmer auf. Eine solche Maschine unterteilt eine Menge von Objekten in Klassen. In Ammers Beispiel sollen die Werte eines XY-Diagramms mit den Einheiten Krimininolin und Sanftosan mit Hilfe eines Schaschlik-Spießes so unterteilt werden, dass bösartige Kriminelle und unschuldige Bürger getrennt werden.

Schnell zeigt sich, dass es keine Position des Spießes gibt, die Unschuldige genau von den Kriminellen trennt. Das Support-Vector-Machine Experiment zeigt, dass es immer Entscheidungsregeln gebe müsse, die der Mensch erstellt. Und je nach Entscheidungsregeln kommt man zu unterschiedlichen Ergebnissen. Ein Hardliner wie Dick Cheney, Ex-Vizepräsident der USA, ist z. B. besorgter über die Schurken, die entlassen wurden, als über die wenigen, die in Wirklichkeit unschuldig waren. Der Rechtsphilosoph aus dem Jahre 1760, William Blackstone, meint hingegen: „Es ist besser, dass zehn Schuldige entkommen, als dass eine unschuldige Person leidet.

Dem Algorithmus fehlt die Intuition

„Algorithmen berechnen und spiegeln Werte wieder. Menschen erfinden und haben Werte“, erklärt die Autorin Dr. Alexandra Borchardt. Ein Algorithmus sei nur kondensierte Vergangenheit, er könne nur abbilden was schon war bzw. schon definiert ist. Er hätte nie das Iphone erfinden können. Der Algorithmus klassifiziere nach Wahrscheinlichkeiten und Masse. Was für die Masse gut sei, müsse aber nicht zwangsläufig für jedes Individuum gut sein. Der Algorithmus ordne z. B. bestimmte Aussagen in den Sozialen Medien als sogenannte Hatespeech ein, da zuvor definierte Kriterien für Hassreden auf diese Aussagen zutreffen. Aber nur der Mensch könne unter diesen Aussagen Einzelfälle erkennen, die einer besonderen Beachtung bedürfen. Ein Algorithmus dürfe nie dazu benutzt werden, Verantwortung zu delegieren.

„Menschen sind stark in der Intuition“, ergänzt Borchardt. Die meisten großen Erfindungen seien durch gute Intuitionen entstanden, viele gar durch Pannen wie Penicillin und Viagra. Wenn man Algorithmen sinnvoll einsetzen möchte, müsse man sich immer fragen: Wo brauchen wir Intuition und wo brauchen wir Effizienz. Im Roboterjournalismus sei es durchaus sinnvoll, standardisierte Sportmeldungen zu automatisieren. Journalisten hätten dann mehr Zeit für Recherche und investigativen Journalismus.

Wer haftet für Entscheidungen?

Dr. Martin Burckhardt, Autor und Kulturtheoretiker versteht das Unbehagen, das einen beschleicht, wenn man mit Algorithmen zu tun hat. Ein Computer sei nicht nur ein Werkzeug, sondern ein Raum, in den wir einsteigen.

Auch für Rebeka Weiß, Leiterin Vertrauen & Sicherheit bitkom e.V. steht fest, dass Maschinen nicht ethisch handeln. Unsere Gesellchaft müsse daher genau festlegen, wie weit sie sich Entscheidungen durch Computer abnehmen lassen möchte. Es müsse auch überlegt werden, wer für Entscheidungen, die eine Software getroffen habe, haftet. Erste Schritte seien mit der Datenethikkommission, die von der Bundesregierung eingesetzt worden sei, bereits gemacht worden. Unsere Gesellschaft müsse Werte definieren, wie sie in der Datenökonomie leben wolle. Es müsse entschieden werden, in welchen Bereichen Algorithmen gefahrlos eingesetzt werden könnten und in welchen nicht.

Wo bleibt der Mensch?

„Der Ursprung eines jeden Algorithmus ist der Mensch“, eröffnet Professor Dr. Dieter Kugelmann, Landesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Rheinland-Pfalz, sein Statement. Und es sei auch der Mensch, der den Algorithmus immer weiter entwickelt. Nur wohin, welche Vorgaben hat er? Müsse man den Algorithmus bremsen?

„Wie kriegen wir denn nun die Werte in die Maschine?“, fragt Ammer nach. Und wer lege diese fest?

„In einer Demokratie gibt es ja keine Werteinstitution“, antwortet Borchardt. Die Werte sind im Fluss“. Anfang der 70er Jahre durften Frauen ohne Zustimmung ihres Ehemannes nicht arbeiten. Die gleichgeschlechtliche Liebe stand unter Strafe.

Für und Wider von Regulierungen

Nach Burckhardt haben sich heute die Analphabeten gegen das Alphabet verschworen. Wir bräuchten endlich einen Diskurs zum Thema Algorithmus und der müsse in den Feuilletons stattfinden. Ein Programmierer könne schließlich nicht für eine Ethik im Algorithmus verantwortlich sein.

Für Borchardt braucht es Regulierungen für den Algorithmus und die Künstliche Intelligenz, um die Freiheit des Individuums zu sichern, sonst verfielen wir in eine Blockbuster-Mentalität.

Seien Orte zum Rauchen beispielsweise Freiheiten? Ja, so Borchardt, denn sie ließen dem Nichtraucher die Freiheit, an Orten ohne Zigarettenrauch zu verweilen.

Algorithmen werden derzeit in den Gebieten Arbeit, Gesundheit und Mobilität eingesetzt. Weiß fordert für diese Einsatzgebiete eine angemessene Fehlerkultur, statt zukunftsweisende Technologien von Anfang an durchzuregulieren. Man müssse immer wieder kontrollieren, was angemessen sei und was nicht.

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