Gabriele Karl vom Verein “Opfer gegen Gewalt” und Harald Kruse, leitender Oberstaatsanwalt Staatsanwaltschaft Koblenz.
© Foto: Rechtsanwaltskammer Koblenz

Rechtsanwaltskammer Koblenz. Bei spektakulären Gewalt- oder Sexualstraftaten kochen die Emotionen regelmäßig hoch. „Immer häufiger heißt es sogar: Die Gerichte urteilen zu lasch und niemand spricht von den Opfern“, fasst Moderator Dr. Andreas Ammer, Mitglied des Präsidiums der Kammer, die Stimmung in der Öffentlichkeit auf der Podiumsdiskussion „Gewaltverbrechen in unserer Gesellschaft – wie gehen wir mit Tätern und Opfern um?“ zusammen.

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Sei man als Angehöriger eines Opfers gar zufrieden, wenn ein Täter eine schwache Verteidigung habe, fragt Ammer. Nein, keinesfalls, antwortet Gabriele Karl, Gründerin des Vereins „Opfer gegen Gewalt“. „Die juristische Ebene ist die einzige Ebene auf der die Opfer und ihre Angehörigen die Tat aufarbeiten können“, antwortet Karl. Hier sei der Rechtsstaat gefragt: Die Täter brauchen einen guten Verteidiger und die Opfer brauchen einen guten Anwalt in der Nebenklage. Nach der Meinung Karls müsse nichtsdestotrotz das Prozessgeschehen dem Opfer und seinen Angehörigen besser vermittelt werden.

Jede Gewalttat hat ihre Geschichte

Hans Holzhaider, Gerichtsreporter der Süddeutschen Zeitung, sieht das Balanceverhältis zwischen Täter und Opfer nicht ganz so ausgewogen. Im Strafprozess spiele das Opfer eine untergeordnete Rolle, schließlich gehe es um die Bewertung der Tat. „Als Journalist, der wenig über die Tat weiß, geht man mit Erstaunen und Entsetzen in eine Verhandlung. Und man lernt: Jede auch noch so schlimme Tat fällt nicht vom Himmel, sondern resultiert aus einer Entwicklung“, erklärt Holzhaider.

Deshalb sei es auch so wichtig, dass der Täter im Prozess seine Geschichte erzähle. Im Sinne der Rechtspflege sei man darauf angewiesen, dass der Täter rede. Allerdings habe sich in den letzten Jahren viel geändert. Heute gehe es im Gerichtssaal viel stärker darum, den Täter mit seiner Tat zu konfrontieren, damit dieser erkenne, welchen Schaden an Leib und Seele er dem Opfer zugefügt habe.

Einrichtung eines Opferschutzfonds

Opfer seien im Prozess auch immer Zeugen, erläutert Harald Kurse, leitender Oberstaaatsanwalt, Staatsanwaltschaft Koblenz. Opferschutz heiße, den Zeugen zu stabilisieren und ihn im Prozess nicht erneut zu traumatisieren. Vor allem bei der therapeutischen Betreuung bestehe hier noch ein enormer Nachholbedarf. Wer an Opferhilfemaßnahmen teilnehmen wolle, müsse sich an viele unterschiedliche Kostenträger wenden. Besser wäre die Einrichtung eines zentralen Operschutzfonds.

Recht auf Verteidiger auch für Opfer

Für den Strafverteidiger Volker Schröder ist Täterschutz auch immer gleich Opferschutz. Jeder Beschuldigte habe ein Recht auf Verteidigung. Es sei nicht die Aufgabe des Verteidigers die Tat zu verurteilen, sondern den Täter sachgerecht unter Einsatz aller Mittel zu verteidigen. Am Rechtssystem bemängelt Schröder, dass die Täter zwar ein Recht auf einen Pflichtverteidiger hätten, die Opfer jedoch nur ein Merkblatt bekämen. Dies müsse verbessert werden. Schröder fordert auch für die Opfer ein Recht auf einen Pflichtverteidiger, so dass dieser die Opfer schon vor Erhebung der Anklage unterstützen könne.

Opfer- und Täterschaft sind zunächst nur Hypothese

„Für die Staatsanwaltschaft geht es im Prozess zunächst einmal um die Wahrheitsfindung“, erläutert Kruse. Es gelte nämlich immer die Unschuldsvermutung. Von der Opfer- und Täterschaft habe die Staatsanwaltschaft lediglich eine Hypothese. Der Prozess habe die Aufgabe, den Tathergang festzustellen, diesen rechtlich zu bewerten und eine entsprechende Bestrafung herbeizuführen. Strafe dürfe allerdings nie Selbstzweck sein. Bei den immer lauter werdenen Rufen nach schärferen Strafen gehe der Resozialisierungsgedanke vollkommen verloren. Kein Täter sei eine Bestie.

Zahl der Gewaltverbrechen und Rückfallquoten zurückgegangen

„Die Zahl der Gewaltverbrechen und auch die Rückfallraten sind in den letzten Jahren zurückgegangen“, ergänzt Prof. Dr. Norbert Nedopil, forensischer Psychiater, Universität München. Der Ruf nach schärferen Gesetzen sei deshalb falsch. „Wir brauchen mehr Therapieplätze!“

Der Moderator Dr. Ammer schließt die Veranstaltung mit einem Bericht aus Hamburg. Dort hat man 2018 ein Resozialisierungs- und Opferhilfegesetz (HmbResOG) verabschiedet. Mit Hilfe eines Übergangsmanagements sollen Gefangene vor und bei ihrer Entlassung besser darauf vorbereitet werden, ein Leben ohne Straftaten zu führen. So wird bereits in den letzten Monaten des Vollzuges mit Maßnahmen wie Schuldnerberatung begonnen oder bei der Wohnungs- und Arbeitssuche unterstützt. Es gibt ferner eine Zeugenberatungsstelle, die die Opfer während des Prozesses begleitet und bestehende Opferhilferegelungen werden zusammengefasst. Der Senat stellt dafür 2,4 Millionen Euro jährlich zur Verfügung. Ein Vorbild für Rheinland-Pfalz?

Über die Rechtsanwaltskammer Koblenz

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Redaktion: AzetPR